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Ralf Schuricht: Taratalla. Latein Grammatik, 2009 <www.taratalla.de>.

4.2 Kasusfunktionen

4.2.4 Ablativ

Im lateinischen Ablativ sind drei ehemals selbständige Kasus zusammengeflossen: der Separativus zur Angabe von Trennung und Herkunft, der Instrumentalis zur Angabe des Mittels und der Locativus zur Angabe von Ort und Zeitpunkt.
In separativer Funktion wird der Ablativ häufig mit den Präpositionen ab, ex oder dē verstärkt. In zahlreichen Fällen wird er jedoch ohne Präposition verwendet.
abl. sēparātīvus
Als Angabe des Ausgangsortes bei Städtenamen und kleineren Inseln:
Rōmā / Athēnīs / Delō prōficīscī – aus Rom / aus Athen / von der Insel Delos aufbrechen
aber:
ex Crētā prōficīscī – von Kreta aufbrechen
Tritt eine Apposition hinzu, wird bei dieser gewöhnlich auch die Präposition ergänzt:
ex urbe Rōmā – aus der Stadt Rom
Athēnīs ex urbe maximā Graeciae – aus Athen, der größten Stadt Griechenlands
Auch domō (aus dem Haus) und rūre (vom Land) stehen gewöhnlich ohne Präposition. Nur in Verbindung mit Attributen, die nicht den Besitzer angeben, tritt eine Präposition hinzu:
domō / rūre abīre – aus dem Haus / vom Lande fortgehen
domō tuā / patris abīre – aus deinem Haus / aus dem Haus des Vaters fortgehen
aber:
ex domō vetere abīre – aus dem alten Haus fortgehen
Bei den Verben (und Adjektiven) des Beraubens, Befreiens und Entbehrens steht das, wovon man getrennt wird bzw. ist, gewöhnlich im bloßen Ablativ ohne Präposition:
aurō prīvāre / spoliāre – des Goldes berauben
ōrnāmentīs nūdāre – des Schmuckes entblößen
pecūniā fraudāre – um das Geld betrügen
tyrannō līberāre – vom Tyrannen befreien
vinculīs solvere – von den Fesseln befreien
officiō vacāre – von Pflichten frei sein
pecūnā carēre – des Geldes entbehren, kein Geld haben
aquā egēre – des Wassers bedürfen, Wasser brauchen
vestibus nūdus – von Kleidung entblößt
omnī metū līber – von jeglicher Furcht frei
officiō vacuus – von Pflichten frei
Bei den übrigen Verben, die eine Trennung beinhalten, ist oft beides möglich: sowohl der bloße Ablativ als auch Ablativ mit Präposition (ab, ex, dē). Manche Verben dürfen sogar nur mit einer bestimmten Präposition konstruiert werden.
abl. orīginis
Zur Angabe der elterlichen oder sozialen Herkunft; meistens nach nātus oder ortus und ohne Präposition, gelegentlich auch mit ex (vor allem bei Pronomina), bei entfernterer Abstammung auch mit ab:
Iūliā nātus – geboren von Iulia
nōbilī genere nātus – ein Mann von vornehmer Abstammung
tuō sanguine ortus – von deinem Blut abstammend
serva, ex quā nātus est – die Sklavin, von der er geboren wurde
plērīque Belgae ortī sunt ab Germānīs – die meisten Belgier stammen von den Germ. ab
abl. auctōris
Der Urheber einer passiven Handlung wird, wenn es sich um eine Person, ein Tier oder eine personifizierte Sache handelt, im Ablativ mit der Präposition ab angegeben:
ab eō missus sum – ich bin von ihm geschickt worden
ā multitūdine canum terrēmur – wir werden von einer Hundemeute verjagt
ā fortūnā dūcitur – er wird vom Schicksal geleitet
Anstelle des ablativus auctoris kann auch der dativus auctoris verwendet werden. Man findet ihn regelmäßig beim Gerundivum und häufiger auch in der Dichtung.
Ist der Urheber einer passiven Handlung eine Sache, wird der rein instrumentale Ablativ ohne Präposition verwendet (siehe unten).
abl. comparātiōnis
Da beim Komparativ eine qualitative Distanz zwischen den zu vergleichenden Objekten aufgebaut wird, wurde das Vergleichsobjekt ursprünglich im reinen Ablativ ohne Präposition angegeben. Die alternative Konstruktion mit der Partikel quam ist jünger:
Marcus Tertiō (= quam Tertius) māior est. – Marcus ist größer als Tertius.
Quid praestat amīcō fidēlī? – Was ist besser als ein zuverlässiger Freund?
Bei Relativa ist die Konstruktion im Ablativ zwingend notwendig. Die wörtliche Übersetzung klingt jedoch im Deutschen schwerfällig und sollte durch eine freiere ersetzt werden:
pater, quō fīlius doctior est – der Vater, im Vergleich zu dem der Sohn gelehrter ist / dessen Sohn gelehrter ist als er
In instrumentaler Funktion steht der Ablativ meistens ohne Präposition, kann aber in manchen Funktionen durch cum verstärkt werden, in kausaler Funktion auch durch ex.
abl. īnstrūmentī
Zur Angabe des Mittels oder Werkzeugs; daher gewöhnlich auf konkrete Sachen bezogen, gelegentlich aber auch auf Menschengruppen, die Politikern oder Feldherrn als Werkzeug dienen; grundsätzlich ohne Präposition:
pilā lūdere – mit einem Ball spielen
epistula stilō acūtō scrīpta – ein Brief, geschrieben mit einem spitzen Stift
gladiātōribus rem pūblicam obsidēre – mit Gladiatoren den Staat terrorisieren
Ansonsten verwendet man bei Personen, die als Vermittler oder Helfer einer Handlung auftreten, per + Akk. oder Umschreibungen mit operā oder auxiliō, bei Urhebern einer passiven Handlung den abl. auctoris mit ab (siehe oben):
per nūntium certior factus sum – durch einen Boten habe ich erfahren
auxiliō patris stabulum exstrūxī – mit der Hilfe meines Vaters habe ich den Stall errichtet
ā patre stabulum exstrūctum est – der Stall wurde von meinem Vater errichtet
Oft als Ergänzung nach Ausdrücken Verben des Ausstattens und Füllens:
amphoram aquā complēre – eine Amphore mit Wasser füllen
servōs glādiīs īnstruere – die Sklaven mit Schwertern ausstatten
mortuum honōribus afficere – den Verstorbenen mit Ehrungen auszeichnen
Als Objekt nach den eigentlich intransitiven Deponentien ūtī, fruī, fungī, vēscī, potīrī sowie nach den unpersönlichen Ausdrücken des Benötigens ūsus est und opus est:
instrūmentō ūtī / abūtī – ein Werkzeug benutzen / missbrauchen
silentiō fruī – die Stille genießen
mūnere fungī – ein Amt ausüben
lacte et carne vēscī – sich von Milch und Fleisch ernähren
rēgnō potīrī – sich der Königsherrschaft bemächtigen
navibus ūsus est – es sind Schiffe nötig
aquā mihī opus est – ich brauche Wasser
abl. modī
Zur Angabe der Art und Weise oder der Begleitumstände; teils mit, teils ohne die Präposition cum. Insbesondere zweigliedrige Ausdrücke stehen oft ohne Präposition:
hāc ratiōne pūgnāre – auf diese Weise kämpfen
aequō animō vīvere – mit Gleichmut leben
māgnā (cum) dīligentiā agere – mit großer Sorgfalt handeln
multīs cum lacrimīs dīcere – unter vielen Tränen sagen
Auch ohne attributive Ergänzung bleiben einige adverbiell erstarrte Ablative regelmäßig ohne Präposition, z.B.:
iūre / iniūriā – zu Recht / zu Unrecht
cāsū – zufälligerweise
ōrdine – der Reihe nach
vī – mit Gewalt, gewaltsam
abl. comitātīvus /
sociātīvus
Zur Angabe der Begleitung; bei Truppenbewegungen gelegentlich auch ohne Präposition, ansonsten aber immer mit der Präposition cum:
Ipse omnibus cōpiīs in Galliam proficīscitur. – Er selbst brach mit allen Truppen nach G. auf.
aber:
Ūnā cum legiōne Rōmam contendit. – Mit nur einer Legion eilte er nach Rom.
Cum Claudiā in silvā ambulāvī. – Ich bin mit Claudia im Wald spazieren gegangen.
Deus nōbiscum sit! – Gott sei mit uns!
abl. causae
Zur Angabe einer Ursache oder eines inneren Beweggrundes, gelegentlich verstärkt durch die Präposition ex:
famē labōrāre – an Hunger leiden
metū fugere – aus Angst fliehen
ex nostrā cōnsuētūdine cantāre – gemäß unserer Gewohnheit singen
tuō arbitriō agere – nach deinem Gutdünken handeln
iussū tacēre – auf Befehl schweigen
Oft nach Verben der Freude und Trauer u.ä:
praemiō gaudēre – sich über die Belohnung freuen
pulchritūdine glōriārī – sich der Schönheit rühmen
morte amīcī dolēre – den Tod des Freundes bedauern
abl. prētiī
Zur Angabe des Preises bei Verben des Kaufens, Mietens etc:
magnō / plūrimō vendere – teuer / sehr teuer verkaufen
parvō / minimō condūcere – billig / sehr billig mieten
trībus dēnāriīs cōnstat – das kostet drei Denare
Vor allem bei konkreten Preisangaben steht stets der Ablativus pretii. Bei vergleichenden oder fragenden Preisangaben steht eher der Genetivus pretii (z.B. plūris oder quantī), ferner bei allgemeinen Wertangaben nach Verben der Wertschätzung.
abl. quālitātis
Zur Angabe der körperlichen oder geistigen Eigenschaften einer Person oder Sache. Die Eigenschaft steht dabei nie allein, sondern immer in Verbindung mit einem Attribut:
vir summā nobilitāte – ein Mann von höchstem Adel
magister exiguā doctrīnā – ein Lehrer von geringer Gelehrsamkeit
Auch als Prädikatsnomen mit esse:
Quantā prūdentiā es! – Von welch großer Klugheit du doch bist! / Wie klug du doch bist!
Weiter verbreitet zur Angabe von Eigenschaften ist jedoch der Genetivus qualitatis.
abl. mēnsūrae
Bei Komparativen und anderen vergleichenden Begriffen zur Angabe des Ausmaßes des Unterschieds:
paulō minor – etwas kleiner
dīmidiō altior – um die Hälfte höher
quō plus, eō melius – je mehr, desto besser
decem annīs ante – zehn Jahre zuvor / vor zehn Jahren
Auch nach Verben des Übertreffens und des räumlichen und zeitlichen Abstandes:
multō praestare – bei weitem übertreffen / viel besser sein
longō intervallō abesse – in einem großen Abstand entfernt sein
abl. līmitātiōnis
Zur Angabe des Geltungbereiches, vornehmlich bei Verben des Übertreffens und Beurteilens, gelegentlich aber auch nach wertenden bzw. vergleichenden Adjektiven und Substantiven:
aliquem virtūte superāre – jemanden in der Tapferkeit übertreffen
sapientiā excellere – sich durch Weisheit auszeichnen
rem ūtilitāte mētīrī – die Sache nach der Nützlichkeit bemessen
speciē discere, rē vērā lūdere – dem Anschein nach lernen, in Wirklichkeit spielen
linguā et nātiōne barbarus – nach Sprache und Abstammung ein Barbar
Oft zur relativen Altersangabe:
māior / minor nātū – der ältere / jüngere
maximus / minimus nātū – der älteste / jüngste
Wird der Locativus ohne Präposition verwendet, zeigt er gelegentlich noch seine alte Endung -ī. Ansonsten wird der Ablativ in lokaler Funktion meistens mit der Präposition in verwendet.
abl. locī
Als Ortsangabe auf die Frage "wo?" steht bei Städtenamen und kleineren Inseln der reine Lokativ ohne Präposition. Ansonsten wird in ergänzt, auch bei Appositionen zu Städtenamen:
Rōmae / Athēnīs / Delī – in Rom / in Athen / auf der Insel Delos
aber:
in Britanniā / in silvā / in tēctō – in Britannien / im Wald / auf dem Dach
Rōmae in urbe – in der Stadt Rom
Ohne Präposition stehen auch die Lokative domī (zu Hause / im Haus), rūrī (auf dem Land) und humī (auf dem Boden), ferner einige feste Redewendungen wie terrā marīque (zu Lande und zu Wasser). Wird domī durch ein Attribut ergänzt, gelten wieder dieselben Regeln wie beim Separativus (also domī meae oder domī patris, aber in domō māgnā).
Bei locō kann zwar die Präposition in stehen, sie wird aber vor allem in Verbindung mit Attributen gerne weggelassen:
eō locō – an diesem Ort
locō salubrī – in gesunder Lage
locō Caesaris – an Caesars Stelle
Ähnliches gilt für Ortsangaben in Verbindung mit tōtus und für zusammengesetzte Ortsangaben mit parte und regiōne:
tōtā (in) urbe – in der ganzen Stadt
alterā parte – auf der anderen Seite
dextrā (parte) – rechts / auf der rechten Seite
eādem regiōne – in derselben Gegend
Nach den Verben des Setzens, Stellens und Legens sowie des Hinzuzählens verwenden wir im Deutschen oft den Richtungsakkusativ, während der Lateiner eher das Ergebnis der Handlung sieht und daher den Ablativ verwendet:
in sellā cōnsīdere – sich auf den Stuhl setzen
in tergō asinī pōnere – auf den Rücken des Esels legen
in lectō accumbere – sich auf das Bett legen
in hostibus numerāre – zu den Feinden zählen
abl. temporis
Als Zeitangabe auf die Frage "wann?" und "innerhalb welcher Zeit?" steht bei Substantiven, die einen eigentlichen Zeitbegriff beinhalten, der bloße Ablativ ohne Präposition. Als eigentliche Zeitbegriffe gelten auch religiöse Feste und andere Veranstaltungen mit festen Terminen:
quintā hōrā – zur fünften Stunde
hōc annō – in diesem Jahr
aetāte – im Sommer
prīmā lūce – bei Tagesanbruch
antīquīs temporibus
multīs saeculīs – viele Jahrhunderte lang
octō diēbus – innerhalb von acht Tagen / vor acht Tagen / in acht Tagen
Sāturnālibus – während der Saturnalien
comitiīs – zur Zeit der Wahlen
lūdīs / gladiātōribus – während der Spiele / während der Gladiatorenkämpfe
Bei manchen Substantiven wie nox, vesper oder lūx findet man neben den regulären Ablativen auch noch alte Lokativendungen:
noctū / nocte – nachts
vesperī / vespere – abends
lucī / lūce – am helllichten Tage
Tritt bei solchen Zeitbegriffen die Präsposition in hinzu, wird aus der bloßen Zeitangabe eine Betonung der besonderen zeitlichen Umstände:
hōc in tempore – unter den Bedingungen dieser Zeit
in tālī diē – an einem solchen Tag
Substantive, die keine eigentlichen Zeitbegriffe sind, sondern eher eine Handlung oder einen Zustand ausdrücken, können als Zeitangabe im Ablativ ebenfalls ohne die Präposition in stehen, wenn sie ein Attribut bei sich haben:
hōc bellō – in diesem Krieg
summā senectūte – im hohen Alter
fīliae nuptiīs – bei der Hochzeit der Tochter
4.2.1 Genetiv 4.2.2 Dativ 4.2.3 Akkusativ 4.2.5 Vokativ
© 2009 R. Schuricht <www.taratalla.de>